Man sagt ja, aus der Geschichte könne man lernen, und gerade in diesen Zeiten scheint das wieder sehr geboten.
Meine Geschichtslehrerin auf dem Gymnasium jedenfalls fand ich damals so streng, das weiß ich noch, dass ich mich teilweise aus Angst, etwas Falsche zu sagen, im Unterricht kaum zu Wort gemeldet habe. Geschichtslehrenden kommt ja mitunter die heikle Aufgabe zu, Vollpubertierende um acht Uhr morgens über Holocaust und Auschwitz aufzuklären. Aber ich weiß noch, dass meine Lehrerin das alles recht gut hinbekommen hat, mit viel Fingerspitzengefühl, ohne das Gräuel zu verharmlosen, aber auch ohne uns Schüler*innen damit zu überfordern. Auf ihre Frage, warum es wichtig sei, auch heute noch über dieses Thema zu sprechen, antworteten wir Schüler*innen natürlich mit der Floskel: Damit sich so etwas nie mehr wiederhole. Mir schien es eben wirklich wie eine Floskel, da ich mich gefragt habe, wie um alles in der Welt sich so etwas kaum vorstellbares Grauenhaftes wiederholen sollte.
Ich weiß auch noch, dass unsere Lehrerin auf ungewöhnliche Art dieses Thema beendet hat, und zwar mit dem Lied „Mensch“ von Herbert Grönemeyer. Ich hatte damals das Lied nicht so wirklich durchdrungen, aber in jenem Moment im Geschichtsunterricht erschien es mir plötzlich ganz groß. Das Mitfühlen und Zweifeln machen das Wesen des Menschen doch aus – das schien uns Herbert Grönemeyer damals auf seine melancholisch-trauernde und doch kraftvolle Weise sagen zu wollen. Damit hat unsere Lehrerin es tatsächlich geschafft, uns nicht in Erstarrung und Ratlosigkeit aus diesem schweren Thema zu entlassen, sondern mit dem befriedigenden Gefühl, etwas Grundsätzliches verstanden zu haben. Und seltsamerweise wurde das Lied in meiner Erinnerung nie von dieser düsteren Thematik aus dem Geschichtsunterricht überlappt, nein, es ist immer noch ein ganz, ganz großer Song und Herbert Grönemeyer sowieso ein fabelhafter Texter.
Vor einem Jahr hat Grönemeyer wieder ein neues Album veröffentlicht – „Tumult“ – und mit jeder Zeile und jeder Ader kämpft er gegen rechtes Gedankengut, und ich denke daran, dass wir gegenüber denen, die uns unserer Träume, Empathie und Freiheiten berauben wollen, verdammt nochmal keine Angst haben dürfen, uns zu Wort zu melden.